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Entstehung der Regelspurweite

 

Die Regelspurweite von 4’ 8 ½“  = 1435 mm stammt aus England. Dabei muss zunächst das für das Zollsystem so krumme Maß von 4' 8 1/2" auffallen.

Nun lauten persönliche Aufzeichnungen Stephensons [15] über die englischen Spurwelten 1830 bis 1835 wie folgt:

Killingworth                    4' 8"

Stockton-Darlington        4' 8"

Canterbury                     4' 8"

Liverpool-Manchester      4' 8" & 4' 8 ½”

Leicester & Swannington 4' 8 1/2"

Warrington                     4’ 8 1/2"

Newcastle & Carlisle       4’ 8 1/2"

Daraus geht unzweifelhaft hervor, dass die englische Spurweite anfangs 4' 8" s 1422 mm war, und dass Stephenson sie für den 1822 begonnenen Bau der Stockton-Darlington-Bahn angewendet hatte. Es war ein rundes Maß von 4 2/3 Fuß.

Die Spurweite von 4' 8 1/2" tritt demgemäss erst nach 1829, aber vor 1835 auf. Welche Gründe zu der Zugabe von ½ Zoll geführt haben, ist allerdings unklar. Zwar bezeichnete Bury [16], der seinerzeit nur Innenzylinder-Lokomotiven baute, eine Vergrößerung der Spur als wünschenswert, hielt aber 6“ für reichlich. Dazu bemerkte er jedoch:

'We do not labour absolutely under great difficulties", das heißt: "Wir arbeiten absolut nicht unter großen Schwierigkeiten".

Im übrigen hatte etwa 1830, als offenbar bei der Liverpool-Manchester-Bahn der Übergang zu 4' 8 1/2" erfolgte, Stephenson noch gar keine Lokomotiven mit Innenzylindern gebaut. Die Unterbringung eines inneren Triebwerkes kann also nicht der Grund für die Vergrößerung der Spur um 1/2' gewesen sein.

Über die Entstehung des Maßes von 4' 8 1/2" als englische und später europäische Spurweite bestehen die verschiedensten Lesarten. Nach Railway Gazette, Great Western Centenary Special Number vom 30. August 1935, S. 44. soll William Jessop, der erstmalig 1789 eine gusseiserne pilsförmige Schiene verwendete, der Urheber sein. Die älteren „tramroads“ selner Zeit besaßen als Schienen hölzerne Balken, die von Außenkante zu Außenkante 5' = 1524 mm maßen. Als Jessop 1789 die Bahn Loughbourough - Nanpanton baute, behielt er dieses Maß für den Abstand der Außenkanten seiner Pilzschienen bei. Der Kopf dieser Schienen war 1 3/4" breit, woraus sich für den lichten Abstand der Schienen das Maß von 4' 8 1/2" ergab.

Eine andere Darstellung gibt unter Anlehnung an Haarmann das Handbuch der Ingenieurwissenschaft [17]. „Von Deutschland kam die Idee der hölzernen Spurbahnen nach England. Heinrich VI. - nach manchen Angaben erst Königin Elisabeth - berief um die Mitte des 15. Jahrhunderts Bergleute aus Böhmen, Österreich, den deutschen Landen und Ungarn, um durch sie die Entwicklung des Bergbaues in England zu fördern. Und weiter: "Stephenson hatte für die erste von ihm erbaute Eisenbahn in den Bedlingtonwerken in Northumberland die Entfernung der beiden Schienenstränge derart gewählt, dass auch gewöhnliche Fuhrwerke anstandslos das Gleis benutzen konnten. Der Abstand der auf derselben Achse sitzenden Räder eines solchen Fuhrwerkes betrug damals, wie Haarmann in seinem Werke über das Eisenbahngeleise mitteilt, 4 ' 6 " engl. = 1372 mm.

Als nun Stephenson an den Bau seiner Lokomotiven ging, sah er sich durch dieses Maß beengt, indem der verfügbare Raum für die Unterbringung der Dampfzylinder nicht ausreichte, und er erweiterte deshalb den Abstand der Schienenstränge auf das zwischen den Innenkanten der Schienen angenommene Maß von 4' 8 ½“  = 1435 mm. Dieses Maß, das sich für seine Lokomotivkonstruktionen als zweckentsprechend erwies, behielt er auch bei dem Bau der Eisenbahn von Liverpool nach Manchester und allen späteren Bahnen bei." - "Nach anderen Annahmen ist die Spurweite von 1435 mm den Ausmaßen gewöhnlicher Straßenfuhrwerke unmittelbar entnommen worden."

Ebendort, S. 162: "Die der Liverpool-Manchester-Bahn durch Stephenson zugrunde gelegte Spur von 4' 8 ½“ ist, wie im 1. Kap., S. 16 ausgeführt, einfach nach dem bloßen Gefühl auf Eisenbahnen übertragen worden, weil man sich bei englischen Straßenfuhrwerken an dieselbe gewöhnt hatte".

Die Gründe müssen aber wohl andere gewesen sein. Ich möchte dafür folgenden Gedanken Raum geben: Stephenson hatte seine Lokomotiven wohl so gebaut, dass die Radsätze mit sehr geringem Spiel in die Spur von 4' 8" passten. Das dürfte nicht nur wegen der Krümmungen, sondern auch im geraden Gleis wegen der unvermeidlichen Schlingerbewegungen der Außenzylinder-Lokomotiven zu Zwängungen im Gleis oder mindestens zu starker Abnutzung der Spurkränze und der Schienen geführt haben. Da der Umbau der Lokomotiven eine missliche Sache schien, so wählte Stephenson als einfacheren Ausweg die Auslegung der Gleise mit der um 1/2" größeren Spur, die sich auch bei den bestehenden Gleisen leicht ausführen ließ, denn die Schienen lagen nicht auf Querschwellen, sondern auf Steinwürfen, die man verhältnismäßig leicht um 1/2" auseinanderrücken konnte.

Damit wäre geklärt, wie das auffallend unrunde Maß von 4' 8 1/2" aus dem runden Maß von 4' 8" entstanden sein könnte, nicht aber der Ursprung dieses letzteren Maßes. Es war bei den alten Kohlenbahnen üblich, dass jedermann sie mit seinem Fuhrwerk befahren durfte. Dieser Gedanke lebte noch, als Harkort 1831 erreichte, dass der Westfälische Provinziallandtag die Ausführung einer Bahn Minden - Lippstadt beschloss, Sie sollte "einer Chaussee gleichen, welche ein jeder unter Wahrnehmung allgemeiner polizeilicher Vorschriften gegen Erlegung des Wegegeldes befahren könne" [18].

 

Daher liegt es nahe, einen Zusammenhang zwischen der lichten Spur von 4' 8" und der damaligen Spur der Straßenfuhrwerke anzunehmen. Betrug diese, wie üblich von Mitte zu Mitte gemessen, 5', so ergibt sich für die üblichen Winkelschienen ganz zwanglos eine lichte Spur von etwa 4' 8". Diese Vermutung ist, wie oben erwähnt, auch schon früher ausgesprochen worden. Streng durchgeführt war die Spur von 5’ bei den englischen Kohlenbahnen allerdings nicht. Die Gleise der Wylamzeche, für welche sich Blacket, der Besitzer, durch seinen Ingenieur Hedley 1813/14 die „Puffing Billy" bauen ließ, zeigten eine lichte Spur von 1564 mm, also beinahe 5' 1", und Pilzschienen von 60 mm Kopfbreite. Und die Bedlington-Eisenwerke hatten nach Haarmann Gleise von 4' 6“ = 1372 mm - genau wie die schottischen Erstlingsbahnen. Das ändert aber an meiner Theorie nichts, denn auch in Deutschland weisen die Straßenfahrzeuge im Bergland vielfach geringere Spurweiten auf als im Flachlande.

Die oben erwähnte Vergrößerung der Spur um 1/2" mag, als nach 1830 auch dreiachsige Lokomotiven aufkamen, besonders gutgeheißen worden sein. Anderweitig ging man sogar weiter: So enthält die eingangs erwähnte Notiz von Stephenson noch die  Angabe, dass die Seguin’schen Bahnen im Becken von St. Etienne sowie einige amerikanische Bahnen eine Spurweite von 4' 9" = 1448 mm besaßen. In England ließ man bei den größer werdenden Achsständen der 1 A 1-Lokomotiven bald den Spurkranz an der Treibachse fort [19].

 

Anmerkungen

 

 

15) Warren, A Century of Locomotive Building by Rob. Stephenson, S. 331.

16) Ebd., S. 338.

17) Handb. d. Ingenieurwiss., Bd. V, 1. Abt., 1897, S. 18. 51, 162.

18) Fürst, Die hundertjährige Eisenbahn, 1925, S. 98.

19) Zur Entstehung der Regelspur vgl. auch Sonderbauart (= Eisenbahnen und Museen, Folge 5/6). Karlsruhe (DGEG) 1973, S. 6.

nächstes Kapitel "Entstehung_anderer_Spurweiten"

 

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Zuletzt aktualisiert von MME am 18.04.2007, 09:50:30.